Wolfgang Gensheimer

Tijana mit ihrem Bild Obscure Swinging war für mich die Entdeckung in der Stipendiaten-Ausstellung im Haus am Kleistpark, weil da war es endlich wieder einmal, was ich suche und was so selten ist, weil die Verhältnisse nicht so sind, dass sie zu Wagnissen ermutigen, denn die Märkte, die Kulturmärkte, verlangen nach Bewährtem, nach der Wiederholung des Bekannten, die Kundschaft ist faul und verdorben und will immer nur den gleichen Puderzucker, um ihn sich in den Arsch blasen zu lassen. Das müssen die Künstler dann auch noch leisten: ihr angepasstes Zeug aufjuxen für den Diskurs.

Tijana ist sehr geschickt in der Wahl ihrer Titel: Pieces of Heaven. Besser kann man es nicht sagen, dass alle Lust Ewigkeit will, tiefe, tiefe Ewigkeit, aber sie nicht kriegt aus Gründen, die der Welt bekannt sind. Der Himmel, der ein Abgrund ist, das ist mir noch eingefallen. Mehr Feuilleton brauche ich nicht, braucht niemand. Und hört bloß auf mit dem Geraune von der Nähe von Sex und Tod! Ach ja, le petit mort, wie ein Franzose einmal gesagt hat oder war es eine Französin? Der kleine Tod als Synonym für Orgasmus, eine Metapher.

Obscure Swinging, das Schlüsselbild der Serie Pieces of Heaven. Die Totenköpfe müssen da sein. Keine Frage. Sie sind die Zuschauer, das Publikum, welches das Paar beobachtet, das versunken ist in seiner Ekstase. Die Meisterschaft Tijanas: wenn wir wissen wollen, was das Paar tut, wenn wir ganz genau hinschauen, dann erkennen wir es mit pornographischer Anschaulichkeit. Wenn wir das Bild als Ganzes erfassen, sehen wir in seinem Zentrum die Gestalt eines ineinander verschlungenen nackten Paares, werden erfasst von einem visuellen Sog, verlieren uns so wie ich mich gerade verliere, erleben sehend, was sie uns zeigen will, die äußerste Steigerung des Lebens im sexuellen Akt, und der äußerste Gegensatz dazu sind diese Totenschädel, und deshalb müssen sie da sein.

Tijanas Zeichnungen. Erotic Drawings. Entstanden 2002-2006. Im Sommer 2003 wurde Tijana 22. Das wird mir in ihrem Atelier erst klar, als ich zum ersten Mal die Originale sehe: dass diese Zeichnungen wie Blätter aus dem Tagebuch einer jungen Frau sind, die ihre Sexualität entdeckt und ihre Illusionen verliert. Doch wären sie nur das: würden wir nur wieder einer jungen Frau dabei zusehen, wie sie sich autobiografisch vor uns auszieht, wären sie nicht so aufregend. Das sind sie, weil da etwas passiert, das es nur in den Zeichnungen gibt und das ebenso intim ist wie der Sex, den sie zeigen: wir können dabei zusehen, wie Tijana in diesen Zeichnungen sich selbst als Künstlerin erschafft und wie sie dabei ihr Thema findet, das sie verfolgt seither wie ein Traum, den sie immer wieder träumt, mal als Alptraum, mal als wunderschönen Traum, in dem kein Wunsch unerfüllt bleibt. Der Traum vom Paar.

Wolfgang Gensheimer, March 2012